Die anderen
und "die anderen Bands"
Folgendes Interview
ist eigentlich purer Egoismus, da wohl niemand der BLACK-Leser diese
Underground-Band aus der DDR kennen wird! Viel mehr ist dies eine
weitere Aufarbeitung meiner Jugend bzw. Vergangenheit und steht
in einer Linie wie schon die erschienenen Artikel über Die
Freunde der italienischen Oper oder Die Art. Die anderen gehörten
damals Mitte bis Ende der 80'er Jahre zur Speerspitze der sogenannten
"anderen Bands" und begeisterten uns mit einer tanzbaren
Mischung aus Punk, Ska, Jazz und Pop. Es war halt eine andere Zeit,
denn Punks, Skinheads und die anderen Jugendlichen des "real
existierenden Sozialismus" pogten wild, aber einträchtig
neben- bzw. miteinander ihren Frust von der Seele. Es gab damals
eben keine Platten zu kaufen und keiner konnte sagen: Ich höre
jetzt nur noch diese Musik oder Sound! Einer untereinander abgegrenzten
Szenebildung wurde durch das Nichtvorhandensein eines Tonträgermarktes
entgegengewirkt und Gruftis hörten so halt auch die Dead Kennedys
und Punks umgekehrt auch The Cure - man mußte eben nehmen
was kommt bzw. das Nachtradio spielte und das war gar nicht mal
schlecht. So kam ich auch schon sehr früh mit zum Beispiel
Coil, In The Nursery und Throbbing Gristle in Berührung, aber
das ist eine andere Geschichte. Ende der 80'er Jahre entdeckten
die FDJ-Funktionäre die gut funktionierende Szene und versuchten
diese vor ihren Karren zu spannen bzw. zu retten, was noch zu retten
ist. Bands wie Feeling B, Die Skeptiker und Sandow durften plötzlich
Platten auf dem Staatslabel (und einzigen Label in der DDR) AMIGA
veröffentlichen und wurden zu Verkaufsrennern. Die anderen
gerieten 1988 in die Fänge des angeblichen Produzenten von
Prince namens Jack Rieley und zusammen mit Tina Has Never Had A
Teddy Bear und Flat Cat Drive A Jet wollte dieser den neuen Trend
Trench-Music schaffen. Nach einem Auslandsgastspiel von die anderen
in West-Berlin überredete dieser aber den Schlagzeuger Jens
Müller eine Solo-Karriere unter dem Kürzel J. einzuschlagen,
ergaunerte sich dafür von der DDR-Unterhaltungskunst 60000
Mark zur angeblichen Talenteförderung und versprach einen Welterfolg.
Es kam die "Wende", das Album von J. erschien nur im Osten
bei AMIGA, war grottenschlecht und Jens verdrückte sich über
Paris, London nach Amerika. Leider erholten sich die anderen nie
so richtig von diesem Schlag und im Oktober 1989 war Schluß.
2000 erfolgte nun völlig überraschend die Auferstehung
mit neuen Veröffentlichungen, Konzerten und verstärkter
Internetpräsenz - alles wird gut!
BLACK: In
dem Buch "Wir wollen immer artig sein..." äußerstes
Du Dich zum Ende von die anderen am 09.10.1989 wie folgt: "...
mein Exhibitionismus war verbraucht... es war Zeit für Veränderungen!"
- warum erfolgte nun 10 Jahre später die Auferstehung?
TOSTER: In diesen zehn Jahren habe ich vielleicht zehnmal die Gitarre
in die Hand genommen und das meist nur, um mich der Musik da als
Esperanto zu bedienen, wo meine Sprachkenntnisse mangelhaft waren.
Bei thailändischen Punks in Bangkok, bei salvadorianischen
Flüchtlingen in Costa Rica etc. Irgendwann habe ich Ende 1998
gemerkt, daß mir die Musik als Mittel zur körperlichen
und seelischen Hygiene fehlte. Da war es eben wieder Zeit für
eine Veränderung.
BLACK: In eben jenem Buch war auch wage angedeutet, daß
Du Dich in den Jahren nach der Wende als TV-Journalist für
Computerverbrechen in Südamerika aufgehalten hast - kannst
Du das etwas näher erläutern?
TOSTER: Ich war mehrfach als Journalist in Südamerika (unter
anderem auf einem Traditionssegler von Curacao nach Galapagos) und
ich bin spezialisiert auf Datensicherheit, Information Warfare und
Computerverbrechen. Aber beides hat nichts miteinander zu tun.
BLACK: Hast Du noch Kontakt zu Eurem ehemaligen Trommler und
Möchtegern-Popstar Jens Müller alias J. - ich habe den
vor einiger Zeit im TV bei einem Boulevardmagazin gesehen und angeblich
hat er mit dem Internet sein Glück gemacht bzw. soll jetzt
Millionär in New York sein...?
TOSTER: Wir haben vor anderthalb Monaten miteinander telefoniert
und schreiben uns gelegentlich eine Elektropost. Seine Einkommensverhältnisse
sind mir nicht bekannt. Ich nehme aber an, daß beim Börsengang
seiner Firma Jfax.com (jetzt J2 Communication) ein nettes Taschengeld
bei ihm hängenblieb. Such doch mal seine SEC Filings auf der
Website der NASDAQ...
BLACK: Überrascht war ich auch, daß die anderen nach
ihrer Auferstehung so professionell im Netz vertreten sind und über
dieses sogar hauptsächlich agieren wollen - eher ungewöhnlich
für eine (tschuldigung) Retro-Band?
TOSTER: Für die professionelle Darstellung im Netz ist unser
ehemaliger Bassist Stefan Schüler zuständig, der unsere
gemeinsamen Ideen hervorragend umgesetzt hat. Aufs Maximum reduziert,
schnell zu laden, ohne Schnickschnack. Wie unsere Musik. Musik machen
ist für mich ein analoger, linearer Prozeß. Die Distribution
aber ist digital.
BLACK: Was war es für ein Gefühl, nach 10 Jahren wieder
mit die anderen Live zu spielen und wie waren die Reaktionen des
Publikums bzw. fanden die alten Fans wieder zu Euch?
TOSTER: Das Gefühl ist unbeschreiblich gut. Die Reaktionen
der Fans pendelten zwischen Überschwang und vorsichtiger Zurückhaltung.
BLACK: Gab es Reaktionen von Kollegen "der anderen Bands"
zur Auferstehung von Euch und wenn ja, wie sahen diese aus?
TOSTER: Ausnahmslos alle, die mich angesprochen haben, haben sich
darüber gefreut.
BLACK: Spielt Ihr Live noch Euren Hit "Pauls Hochzeit"
oder heißt der jetzt eher "Pauls Scheidung"...?
TOSTER: Ja, selbstverständlich spielen wir den alten Kracher
zum Schluß eines jeden Konzertes und er heißt immer
noch "Pauls Hochzeit"...
BLACK: Musikalisch ist ja bis auf die gesteigerte klangliche
bzw. sprachliche Qualität alles beim alten geblieben - war
und ist das beabsichtigt oder in welche Richtung werden weitere
Aufnahmen tendieren?
TOSTER: Es wird immer nach uns klingen. Wir werden auf Keyboards
und Sequencer ebenso verzichten wie auf gniedelnde Gitarrensoli
und Streicher-Sätze. Unsere Musik wird vielleicht komplexer,
ohne kompliziert zu wirken. Gute Vocal-Lines sind momentan mein
Hauptinteresse.
BLACK: Wann werden die beiden alten Tapes "Berlin Radio"
und "Global Minded" wiederveröffentlicht oder vielleicht
sogar der "Parocktikum"-Live-Mitschnitt"?
TOSTER: Bei letzterem müßte ich erst die Rechte klären.
Was das Remastering der beiden Kassetten anbetrifft, hoffe ich,
es noch in diesem Jahr zu schaffen. Selbstverständlich finden
sich dann die meisten Titel auf unserer Website als mp3-download.
BLACK: Gab es in der Vergangenheit ein bestimmtes Erlebnis mit
die anderen, an welches Du Dich immer noch gerne erinnerst?
TOSTER: Viele. Die Tour mit der britischen Band Automatic Dlamini
1989 durch die DDR, in der ein schüchternes 17-jähriges
Mädchen namens Polly Jean (P.J.) Harvey Gitarre und Saxophon
spielte. Das "Durchbruch"-Konzert 1986 im Berliner "Club
an der Weißensee'er Spitze", daß plötzlich
so gerammelt voll wurde, daß wir Andre Herzberg von Pankow
durchs Fenster in den Club ziehen mußten. Ein Konzert 1987
in der Dresdner "Scheune", als der LKW mit P.A. und Backline
nicht kam und wir trotzdem spielten - mit Vermona-Equipment aus
dem aufgebrochenen Hausproberaum über Allwetterlautsprecher;
ohne Monitore. Zwei Mädchen kamen während eines Songs
auf die Bühne und küßten unseren völlig verdutzten
Schlagzeuger (Jay).
BLACK: Was fällt Dir nach 10 Jahren Deutscher Einheit zu
diesem Land ein - bist Du resigniert oder zufrieden?
TOSTER: Ich bin skeptisch, was die deutsche Vereinigung anbetrifft.
Wir werden uns nicht mischen, wir werden uns höchstens paaren.
Und doch wird zwischen uns lange ein glitzernde Folie liegen, die
uns vor einer gemeinsamen Wahrnehmung schützt. Die Ungnade
der frühen Geburt - andere Jahrgänge werden das anders
sehen.
BLACK: Dem kann ich mich nur zustimmend anschließen und
recht herzlich für dieses Interview bedanken - wir sehen uns
beim Konzert!
- Marco Fiebag
-
Herzlichen Dank an Marco Fiebag, der dieses Interview zur Verfügung
stellte.
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