[Forum] [Kontakt] [Links] [Updates]
 
 
AG Geige
Die Anderen
Die Art
Big Savod And
The Deep Manko
DEKA Dance
Der Expander
Des Fortschritts
Feeling B
Die Firma
Freygang
Herbst In Peking
Ichfunktion
Die Körper Der Einfalt
L'Attentat
Mixed Pickles
Müllstation
Sampler
Sandow
Schleim-Keim
Die Skeptiker
Tausend Tonnen Obst
Verschiedene
Die Vision
 

Die Anderen (Berlin)
[ Diskographie ] [ Interview ]

 

 

Die anderen und "die anderen Bands"

Folgendes Interview ist eigentlich purer Egoismus, da wohl niemand der BLACK-Leser diese Underground-Band aus der DDR kennen wird! Viel mehr ist dies eine weitere Aufarbeitung meiner Jugend bzw. Vergangenheit und steht in einer Linie wie schon die erschienenen Artikel über Die Freunde der italienischen Oper oder Die Art. Die anderen gehörten damals Mitte bis Ende der 80'er Jahre zur Speerspitze der sogenannten "anderen Bands" und begeisterten uns mit einer tanzbaren Mischung aus Punk, Ska, Jazz und Pop. Es war halt eine andere Zeit, denn Punks, Skinheads und die anderen Jugendlichen des "real existierenden Sozialismus" pogten wild, aber einträchtig neben- bzw. miteinander ihren Frust von der Seele. Es gab damals eben keine Platten zu kaufen und keiner konnte sagen: Ich höre jetzt nur noch diese Musik oder Sound! Einer untereinander abgegrenzten Szenebildung wurde durch das Nichtvorhandensein eines Tonträgermarktes entgegengewirkt und Gruftis hörten so halt auch die Dead Kennedys und Punks umgekehrt auch The Cure - man mußte eben nehmen was kommt bzw. das Nachtradio spielte und das war gar nicht mal schlecht. So kam ich auch schon sehr früh mit zum Beispiel Coil, In The Nursery und Throbbing Gristle in Berührung, aber das ist eine andere Geschichte. Ende der 80'er Jahre entdeckten die FDJ-Funktionäre die gut funktionierende Szene und versuchten diese vor ihren Karren zu spannen bzw. zu retten, was noch zu retten ist. Bands wie Feeling B, Die Skeptiker und Sandow durften plötzlich Platten auf dem Staatslabel (und einzigen Label in der DDR) AMIGA veröffentlichen und wurden zu Verkaufsrennern. Die anderen gerieten 1988 in die Fänge des angeblichen Produzenten von Prince namens Jack Rieley und zusammen mit Tina Has Never Had A Teddy Bear und Flat Cat Drive A Jet wollte dieser den neuen Trend Trench-Music schaffen. Nach einem Auslandsgastspiel von die anderen in West-Berlin überredete dieser aber den Schlagzeuger Jens Müller eine Solo-Karriere unter dem Kürzel J. einzuschlagen, ergaunerte sich dafür von der DDR-Unterhaltungskunst 60000 Mark zur angeblichen Talenteförderung und versprach einen Welterfolg. Es kam die "Wende", das Album von J. erschien nur im Osten bei AMIGA, war grottenschlecht und Jens verdrückte sich über Paris, London nach Amerika. Leider erholten sich die anderen nie so richtig von diesem Schlag und im Oktober 1989 war Schluß. 2000 erfolgte nun völlig überraschend die Auferstehung mit neuen Veröffentlichungen, Konzerten und verstärkter Internetpräsenz - alles wird gut!

BLACK: In dem Buch "Wir wollen immer artig sein..." äußerstes Du Dich zum Ende von die anderen am 09.10.1989 wie folgt: "... mein Exhibitionismus war verbraucht... es war Zeit für Veränderungen!" - warum erfolgte nun 10 Jahre später die Auferstehung?

TOSTER: In diesen zehn Jahren habe ich vielleicht zehnmal die Gitarre in die Hand genommen und das meist nur, um mich der Musik da als Esperanto zu bedienen, wo meine Sprachkenntnisse mangelhaft waren. Bei thailändischen Punks in Bangkok, bei salvadorianischen Flüchtlingen in Costa Rica etc. Irgendwann habe ich Ende 1998 gemerkt, daß mir die Musik als Mittel zur körperlichen und seelischen Hygiene fehlte. Da war es eben wieder Zeit für eine Veränderung.

BLACK: In eben jenem Buch war auch wage angedeutet, daß Du Dich in den Jahren nach der Wende als TV-Journalist für Computerverbrechen in Südamerika aufgehalten hast - kannst Du das etwas näher erläutern?

TOSTER: Ich war mehrfach als Journalist in Südamerika (unter anderem auf einem Traditionssegler von Curacao nach Galapagos) und ich bin spezialisiert auf Datensicherheit, Information Warfare und Computerverbrechen. Aber beides hat nichts miteinander zu tun.

BLACK: Hast Du noch Kontakt zu Eurem ehemaligen Trommler und Möchtegern-Popstar Jens Müller alias J. - ich habe den vor einiger Zeit im TV bei einem Boulevardmagazin gesehen und angeblich hat er mit dem Internet sein Glück gemacht bzw. soll jetzt Millionär in New York sein...?

TOSTER: Wir haben vor anderthalb Monaten miteinander telefoniert und schreiben uns gelegentlich eine Elektropost. Seine Einkommensverhältnisse sind mir nicht bekannt. Ich nehme aber an, daß beim Börsengang seiner Firma Jfax.com (jetzt J2 Communication) ein nettes Taschengeld bei ihm hängenblieb. Such doch mal seine SEC Filings auf der Website der NASDAQ...

BLACK: Überrascht war ich auch, daß die anderen nach ihrer Auferstehung so professionell im Netz vertreten sind und über dieses sogar hauptsächlich agieren wollen - eher ungewöhnlich für eine (tschuldigung) Retro-Band?

TOSTER: Für die professionelle Darstellung im Netz ist unser ehemaliger Bassist Stefan Schüler zuständig, der unsere gemeinsamen Ideen hervorragend umgesetzt hat. Aufs Maximum reduziert, schnell zu laden, ohne Schnickschnack. Wie unsere Musik. Musik machen ist für mich ein analoger, linearer Prozeß. Die Distribution aber ist digital.

BLACK: Was war es für ein Gefühl, nach 10 Jahren wieder mit die anderen Live zu spielen und wie waren die Reaktionen des Publikums bzw. fanden die alten Fans wieder zu Euch?

TOSTER: Das Gefühl ist unbeschreiblich gut. Die Reaktionen der Fans pendelten zwischen Überschwang und vorsichtiger Zurückhaltung.

BLACK: Gab es Reaktionen von Kollegen "der anderen Bands" zur Auferstehung von Euch und wenn ja, wie sahen diese aus?

TOSTER: Ausnahmslos alle, die mich angesprochen haben, haben sich darüber gefreut.

BLACK: Spielt Ihr Live noch Euren Hit "Pauls Hochzeit" oder heißt der jetzt eher "Pauls Scheidung"...?

TOSTER: Ja, selbstverständlich spielen wir den alten Kracher zum Schluß eines jeden Konzertes und er heißt immer noch "Pauls Hochzeit"...

BLACK: Musikalisch ist ja bis auf die gesteigerte klangliche bzw. sprachliche Qualität alles beim alten geblieben - war und ist das beabsichtigt oder in welche Richtung werden weitere Aufnahmen tendieren?

TOSTER: Es wird immer nach uns klingen. Wir werden auf Keyboards und Sequencer ebenso verzichten wie auf gniedelnde Gitarrensoli und Streicher-Sätze. Unsere Musik wird vielleicht komplexer, ohne kompliziert zu wirken. Gute Vocal-Lines sind momentan mein Hauptinteresse.

BLACK: Wann werden die beiden alten Tapes "Berlin Radio" und "Global Minded" wiederveröffentlicht oder vielleicht sogar der "Parocktikum"-Live-Mitschnitt"?

TOSTER: Bei letzterem müßte ich erst die Rechte klären. Was das Remastering der beiden Kassetten anbetrifft, hoffe ich, es noch in diesem Jahr zu schaffen. Selbstverständlich finden sich dann die meisten Titel auf unserer Website als mp3-download.

BLACK: Gab es in der Vergangenheit ein bestimmtes Erlebnis mit die anderen, an welches Du Dich immer noch gerne erinnerst?

TOSTER: Viele. Die Tour mit der britischen Band Automatic Dlamini 1989 durch die DDR, in der ein schüchternes 17-jähriges Mädchen namens Polly Jean (P.J.) Harvey Gitarre und Saxophon spielte. Das "Durchbruch"-Konzert 1986 im Berliner "Club an der Weißensee'er Spitze", daß plötzlich so gerammelt voll wurde, daß wir Andre Herzberg von Pankow durchs Fenster in den Club ziehen mußten. Ein Konzert 1987 in der Dresdner "Scheune", als der LKW mit P.A. und Backline nicht kam und wir trotzdem spielten - mit Vermona-Equipment aus dem aufgebrochenen Hausproberaum über Allwetterlautsprecher; ohne Monitore. Zwei Mädchen kamen während eines Songs auf die Bühne und küßten unseren völlig verdutzten Schlagzeuger (Jay).

BLACK: Was fällt Dir nach 10 Jahren Deutscher Einheit zu diesem Land ein - bist Du resigniert oder zufrieden?

TOSTER: Ich bin skeptisch, was die deutsche Vereinigung anbetrifft. Wir werden uns nicht mischen, wir werden uns höchstens paaren. Und doch wird zwischen uns lange ein glitzernde Folie liegen, die uns vor einer gemeinsamen Wahrnehmung schützt. Die Ungnade der frühen Geburt - andere Jahrgänge werden das anders sehen.

BLACK: Dem kann ich mich nur zustimmend anschließen und recht herzlich für dieses Interview bedanken - wir sehen uns beim Konzert!

- Marco Fiebag -

Herzlichen Dank an Marco Fiebag, der dieses Interview zur Verfügung stellte.

[ zurück ]