MICHAEL
RAUHUT/THOMAS KOCHAN - “Bye Bye, Lübben City”
Schwarzkopf & Schwarzkopf
Nach
“Wir wollen immer artig sein” und “Mix mir einen
Drink” erscheint mit “Bye Bye, Lübben City”
im renommierten Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag ein weiteres
Referenzwerk über die subkulturelle Szene in der ehemaligen
DDR, welches sich diesmal der Blues-, Tramper- und Hippie-Szene
widmet. Wie fast jeder andere DDR-Bürger war auch der Blues-Fan
in der 5 Tage-Arbeitswoche gefangen, aber im Gegensatz zum Normalo
versackte dieser am Wochenende nicht vor der Glotze, sondern ging
spätestens Freitag Abend auf die Piste, denn irgendeine Band
spielte schon in irgendeinen Dorfsaal ihren elektrischen Blues.
So pilgerten bzw. trampten Heerscharen von langhaarigen und bärtigen
Fans im fast uniformen Einheitslook Woche für Woche und Jahr
für Jahr durch die letztendlich doch nicht so kleine DDR. Einige
schafften es sogar durch die sozialistischen Bruderländer und
bis hinein in die auch für DDR-Bürger verbotenen Weiten
der Sowjetunion. Jeans und Parka, Hirschbeutel und Jesuslatschen
(im DDR-Jargon Römer-Latschen) bzw. die sogenannten Tramperschuhe
waren äußere Erkennungsmerkmale der Blueser, Tramps oder
einfach auch Kunden genannten Szenevertreter und ihre Sehnsucht
galt dem amerikanischen Traum von Freiheit bzw. dessen Sound vom
ewiger Liebe und Frieden. Doch zumindest musikalisch mußte
man sich mit begnügen, was die nationale Blues-Szene zu bieten
hatte und das war auch nicht gerade wenig. Unzählige Bands
von meist höchsten musikalischen Standart versüßten
am Wochenende die Träume oder den Suff der Blueser und die
bekanntesten davon waren sicherlich MONOKEL, ENGERLING, RENFT COMBO,
FREYGANG und KEIMZEIT. Diese Bands und andere werden auf den 448
Seiten von “Bye Bye, Lübben City” ausführlichst
porträtiert und man kann wenig bekannte, aber dafür um
so hochinteressante wie unterhaltsame Erlebnisse aus berufenen Mündern
nachlesen. So erfährt man hier mehr über die Krawalle
beim Erfurter Pressefest 1978, den Karneval in Wasungen, die Bluesmessen
in der Kirche von Pfarrer EPPELMANN und und und. Des weiteren beleuchtet
das Buch die Wurzeln des Blues im allgemeinen und erläutert
akribisch das Outfit der Szene. Ein ausführliches Band- bzw.
Personenregister und rund 300 seltene Fotos runden dieses Nachschlagewerk
vortrefflichst ab. Uns als Punks waren die Blueser gute Kameraden
(ganz im Gegenteil zu den Heavy Metal-Prolls), obwohl wir uns auch
manchmal lustig über sie machten und ihnen spätestens
in den 80ern den Schneid abkauften, denn viele Konzerte überschnitten
sich und man teile untereinander das letzte Brot oder die Wein-
bzw. Wermut-Flasche. Ein weiteres gelungenes Erinnerungsbuch an
eine Unruhevolle Jugend, welches jeden Zeitgenossen und Musik-Interessierten
empfohlen ist und gefallen dürfte.
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Marco Fiebag -
Herzlichen Dank an Marco Fiebag, der dieses Review zur Verfügung
stellte.
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